Positionspapier
Die deutsche Wirtschaft unterstützt das Ziel des Verbraucherinformationsgesetzes (VIG) und seiner Novellierung, eine sachgerechte, einfach zugängliche Verbraucherinformation zu gewährleisten. Die Wirtschaft selbst bietet bereits größtmögliche Transparenz durch ihre vielfachen tagtäglichen Direktkontakte mit Verbrauchern per Post, E-Mails, Telefonhotlines oder über das Internet, die auf Verbraucherseite eine hohe Akzeptanz finden.
Allerdings müssen gesetzliche Informationsregelungen schon wegen der möglichen drastischen Folgen der Veröffentlichung ungesicherter, im Nachhinein vielleicht unzutreffender Informationen für die Betroffenen einen angemessenen Ausgleich zwischen Informationsinteressen der Verbraucher und Schutzinteressen der Unternehmen gewährleisten. Die neuere Rechtsprechung zum VIG hat dies auf den Punkt gebracht: Verwaltungshandeln durch Information ist irreversibel und eine Verbraucherinformation zu -vermeintlichen- Rechtsverstößen kann für das betroffene Unternehmen existenzgefährdend oder sogar existenzvernichtend sein. Ferner können Falschmeldungen zu Amtshaftungsansprüchen der Unternehmen führen. Vor diesem Hintergrund gilt für die derzeit beratene Novelle des Verbraucherinformationsrechts Folgendes:
1. Gefahrenabwehr ist nicht Aufgabe des VIG
Das VIG soll den Plänen der Bundesregierung zufolge künftig nicht mehr ausschließlich der Information der Verbraucher, sondern gleichzeitig dem Gesundheitsschutz und dem Schutz vor Täuschung dienen. Diese Umfunktionierung des Gesetzeszwecks widerspricht aber nicht nur dem ursprünglichen Regelungsziel des VIG. Außer Acht gelassen wird hierbei vor allem: Es gibt bereits spezielle, auf verbindlichen europäischen Vorgaben beruhende Regelungen (im Lebens- und Futtermittelgesetzbuch und im Produktsicherheitsgesetz), die im Falle einer Gefährdung von Verbraucherinteressen zur öffentlichen Information verpflichten. Während diese Vorschriften eine vorbeugende und schnelle Information der gesamten Öffentlichkeit zum Zwecke der Gefahrenabwehr abschließend regeln, ist dem VIG bisher bewusst der Bereich von rückwirkenden Auskunfts- bzw. Informationsansprüchen einzelner anfragender Verbraucher ohne zeitlichen Handlungsdruck vorbehalten. Für eine Änderung dieser wohlbedachten Rechtslage besteht keinerlei Erfordernis.
2. Doppelungen bringen Verbrauchern keinen Mehrwert
Eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs des VIG von den Lebensmitteln, Futtermitteln und Bedarfsgegenständen auf alle Produkte nach dem Produktsi-cherheitsgesetz, u. a. Haushaltsgeräte, werden von der Wirtschaft abgelehnt. Nach den Evaluationsgutachten des BMELV zum VIG gibt es keinen Anlass für eine Ausweitung des Anwendungsbereichs dieses Gesetzes. Überdies existieren bereits europäische Regelungen für Informationen über Produkte nach der Produktsicherheitsrichtlinie, so dass die Ausweitung unnötig ist - denn Doppelungen bringen für niemanden Mehrwert, sie verursachen aber bei allen Betroffenen Mehrkosten.
3. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sind umfassend zu schützen
Nach geltendem Recht besteht, sofern Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der Unternehmen berührt sind, nach VIG ebenso wie nach Informationsfreiheitsgesetz (IFG) kein öffentlicher Informationsanspruch. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sind mitbestimmend für den Wert eines Unternehmens. Sie genießen daher zu Recht einen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz. Auch der Europäische Gerichtshof hat jüngst deutlich gemacht, dass Transparenzgeboten kein „automatischer Vorrang“ vor Geheimnispflichten zukommt.
Dem widerspricht es, wenn der angefragten Behörde künftig nicht mehr nur die Bewertung obliegen soll, ob es sich bei der begehrten Information um ein Betriebs- und Geschäftsgeheimnis handelt, sondern ihr eine generelle Abwägungsbefugnis zwischen Informations- und Geheimhaltungsinteresse eingeräumt werden soll. Hierdurch wird der bisher umfassend geschützte Begriff der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse zugleich durch subjektive Einschätzungen im Einzelfall relativiert, d. h. aufgeweicht. Damit liegt die Gefahr von Ungleichbehandlungen sowie von unverhältnismäßigen Einschränkungen des Vertraulichkeitsschutzes -je nach behördlicher Praxis- auf der Hand.
4. Wahrung des grundgesetzlichen Gebots effektiven Rechtsschutzes
Verbraucher sollen künftig Behördeninformationen über mögliche Rechtsverstöße, bspw. Grenzwert- oder Höchstmengenüberschreitungen, erhalten, ohne dass die Unternehmen vor der Offenlegung dazu Stellung nehmen können; eine vorherige Anhörung ist nicht zwingend vorgesehen. Den Unternehmen soll überdies auch der Rechtsweg beschnitten werden. So soll die Einlegung eines Widerspruchs oder einer Anfechtungsklage künftig keine aufschiebende Wirkung mehr haben, sondern die Informationen sollen vom betroffenen Unternehmen ungeprüft offengelegt werden. Dabei geht es nicht um Fälle von Gesundheitsgefährdungen, bei denen auch aus Sicht der Wirtschaft schnelles Handeln geboten ist.
Eine solche Neuregelung widerspricht den verfassungsrechtlichen Grundsätzen des rechtlichen Gehörs und des effektiven Rechtsschutzes: Das „scharfe Schwert“ einer gesetzlichen Anordnung der sofortigen Vollziehung ist nach den verfassungsrechtlichen Vorgaben nur ausnahmsweise und dabei mit besonderer Begründung gerechtfertigt. Um solche begründete Ausnahmesituationen handelt es sich im Anwendungsbereich des VIG aber nicht. Hier reicht bei Bedarf eine behördliche Anordnung der sofortigen Vollziehung im Einzelfall aus. Allein der Hinweis darauf, dass die durch die Ausschöpfung verfassungsmäßig garantierter Rechte betroffener Unternehmen bewirkte Verzögerung der Auskunftserteilung in der Öffentlichkeit erhebliche Kritik erfahren habe, kann einen solch gravierenden Eingriff in die Verfahrensrechte ohne konkrete Gefahrenlage nicht begründen.
5. Veröffentlichung von Grenzwert- oder Höchstmengenüberschreitungen vor Abschluss der behördlichen Verfahren verletzt rechtsstaatliche Grundsätze
Beim bloßen Verdacht der Überschreitung von gesetzlich festgelegten Grenz-werten oder Höchstmengen sollen die Behörden künftig verpflichtet sein, darüber sofort unter Nennung des Produktes und des betroffenen Unternehmens die Öffentlichkeit zu informieren – dies alles selbst dann, wenn weder eine akute Gefährdungslage gegeben ist, noch die laufenden behördlichen Verfahren abgeschlossen sind. Betroffenen Unternehmen wird damit jede Möglichkeit genommen, sich vor der Veröffentlichung gegen den möglicherweise unzutreffenden Vorwurf zu wehren oder aufklärend zu wirken; ihre betroffenen Interessen (Vermeidung einer Imageschädigung/ Unschuldsvermutung bis zum Abschluss der behördlichen Verfahren) sollen kraft Gesetzes für unbeachtlich erklärt werden, da die Behörde ohne Rücksichtnahme auf den Einzelfall zur Veröffentlichung verpflichtet werden soll. Das ist unverhältnismäßig und begegnet erheblichen rechtsstaatlichen Bedenken.