Gute Verbraucherpolitik entsteht durch Dialog mit allen
Für Frank-Walter Steinmeier, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, ist das Papier mit dem Titel „Für gute Verbraucherpolitik sorgen“ der Auftakt, mit den Bürgern unter anderem darüber zu diskutieren, „welche konkreten verbraucherpolitischen Maßnahmen … eine sozialdemokratische Verbraucherpolitik 2013 bis 2017 ergreifen“ soll.
Kern des Positionspapiers ist das sozialdemokratische Verbraucherleitbild. Darin erteilt die Bundestagsfraktion der Vorstellung von einem „stets informierten, immer rational und selbstbestimmt handelnden Verbraucher“ eine klare Absage. Dieses Modell des „Homo oeconomicus“ sei nicht die Realität. Ausgehend von den Erkenntnissen der verbraucherbezogenen Forschung unterscheidet das SPD-Modell zwischen dem „verletzlichen“, dem „vertrauenden“ und dem „verantwortungsvollen“ Verbrauchertypus. Je nach Bildungsgrad, Lebenssituation, Alter, Geschlecht, persönlichen Interessen, sozialen oder wirtschaftlichen Ressourcen sowie in Abhängigkeit von der Komplexität des Themas und von der Menge zu verarbeitender Informationen, stellt ihn der Konsumalltag vor unterschiedliche Herausforderungen.
Verbraucher sind verschieden
Danach ist der „verletzliche Verbraucher“ mit vielen Kaufentscheidungen überfordert. Der „vertrauende Verbraucher“ verlässt sich auf die Sicherheit und Güte der angebotenen Produkte ohne das Für und Wider seiner Entscheidung abwägen zu wollen oder zu können. Der „verantwortungsvolle Verbraucher“ ist nach dem SPD-Leitbild noch am ehesten in der Lage, sich zu informieren und bewusst auszuwählen, obwohl auch ihm aufgrund der „Angebotsvielfalt“ und „Informationsflut“ die „Such- und Auswahlkosten“ oft als zu hoch erscheinen, um die „richtige“ Entscheidung treffen zu können.
Da sich die genannten Verhaltensmuster überlagern und grundsätzlich bei jeder Person auftreten können, geht das SPD-Leitbild von einem hybriden Verbraucher aus. Vor diesem Hintergrund und auf der Basis sozialdemokratischer Grundüberzeugungen ist es nur konsequent, dass die verbraucherpolitischen Maßnahmen der SPD-Bundestagsfraktion in erster Linie auf den „verletzlichen“ und den „vertrauenden“ Verbrauchertypus abzielen. Alle Verbraucher „sollen in die Lage versetzt werden, ihren Bedürfnissen entsprechend klug zu konsumieren und sich bewusst zu entscheiden“.
Neuer Politikansatz: Anstoß in die „richtige Richtung“
Um jeden Bürger in diese Lage zu versetzen, bedürfe es eines „neuen Politikansatzes“. Diesen sieht die SPD-Bundestagsfraktion darin, Verbrauchern einen Anstoß in die „richtige Richtung“ zu geben. So könnten beispielsweise „in der Schulkantine …für die Kinder die gesünderen und nachhaltigeren Produkte prominenter platziert werden“. Wahlmöglichkeiten würden dem Verbraucher durch einen solchen Anstoß „in die richtige Richtung“ nicht genommen. Er könne sich jederzeit anders entscheiden. Ein anderes Beispiel für diesen vorsorgenden und im gewissen Grad auch fürsorgenden Politikansatz ist die Forderung nach Einführung einer Nährwertkennzeichnung mithilfe von Ampelfarben, die im Positionspapier an mehreren Stellen auftaucht.
Um das verbraucherpolitische Leitbild Wirklichkeit werden zu lassen, setzt die SPD-Bundestagsfraktion in erster Linie auf den Dialog mit der „Zivilgesellschaft“. Wie an mehreren Stellen ausgeführt, versteht das Papier darunter: Gewerkschaften, Verbraucher- und Umweltverbände sowie Nichtregierungsorganisationen. Ein Beispiel: „Für einen zukunftsfähigen, das heißt sozial und ökologisch verantwortungsvollen Markt, ist es eine logische Konsequenz, bei der Gestaltung der Verbraucherpolitik die gleichlaufenden Interessen mit Umweltverbänden und Gewerkschaften zu nutzen“. In diesem Sinne setzt sich die SPD-Bundestagsfraktion auch für eine deutliche Stärkung der Verbraucherverbände und -organisationen ein. So sollen „Unrechtsgewinne“ abgeschöpft und gemeinsam mit Bußgeldern aus Kartellrechtsverfahren in die Deutsche Stiftung Verbraucherschutz fließen. Zudem sollen bei Verbraucherverbänden sogenannte „Marktwächter“ installiert werden, die „Missstände in der Öffentlichkeit und gegenüber den Regulierungsbehörden anprangern und mit zivilrechtlichen Instrumenten – wo verfügbar – auch abstellen“.
Dialog mit Zivilgesellschaft und Wirtschaft notwendig
Es überrascht daher auch nicht, dass die Unternehmen und ihre Verbände im Positionspapier nur eine Nebenrolle spielen. Es ist zwar begrüßenswert, wenn gefordert wird, den Qualitätswettbewerb zu fördern, weil „seriöse Unternehmen mit guten Produkten und Dienstleistungen … einen Wettbewerbsvorteil“ erhalten. Bei den Rahmenbedingungen dafür setzen die Leitlinien jedoch auf Regulierung. So heißt es beispielsweise: „Wir wollen Unternehmen im Rahmen ihrer jährlichen Geschäftsberichte gesetzlich dazu verpflichten, ihre sozialen und ökologischen Produktionsbedingungen sowohl im eigenen Unternehmen als auch bei ihren Lieferanten offenzulegen.“
Die SPD-Bundestagsfraktion geht bei diesen Überlegungen von einem „ungleichen Kräfteverhältnis“ zwischen Verbrauchern und Anbietern aus. Es herrsche ein „Ungleichgewicht des Wissens“, das nur abgebaut werden könne, wenn Anbieter mehr in die Verantwortung genommen würden.
Auch der Lebensmittelhandel ist zum Dialog bereit
Dass die Dialogbereitschaft eher auf die genannten Kräfte der Zivilgesellschaft zielt, ist bedauerlich. Denn die Unternehmen und Verbände des deutschen Lebensmittelhandels sind sich ihrer Verantwortung für einen nachhaltigen Qualitätswettbewerb sehr wohl bewusst und sie praktizieren ihn auch. „Bewusster“, „kluger“ und „nachhaltiger“ Konsum, der „gesunde Menschenverstand“ als Gradmesser für Kaufentscheidungen, wie es die Leitlinien fordern, all das sind subjektive Begriffe, die in einem demokratischen Diskussionsprozess mit Leben gefüllt werden müssen. Daher begrüßen wir, dass mit den „Leitlinien für eine sozialdemokratische Verbraucherpolitik“ ein Angebot zum Dialog vorliegt, der jedoch gleichberechtigt mit Zivilgesellschaft und Wirtschaft geführt werden muss und an dem wir uns gern kritisch-konstruktiv beteiligen.